
«Werefkins Bilder lassen einen nicht los», meinte kürzlich eine Ausstellungsbesucherin. So zum Beispiel jenes Bild mit dem sprechenden Titel «Die Verlassenen».
Wir blicken auf eine Hafenmole mit einigen Booten am See, links neigt sich eine mächtige Tanne ins Bild, im Hintergrund erheben sich schneebedeckte Gipfel. Die Sonne schimmert blass und vermag nicht mehr zu wärmen. Im Vordergrund eine einzige, tief über einen Stock gebeugte Gestalt, die sich langsam aus dem Bild zu entfernen scheint. Ist dieser ältere Herr mit Fellmütze der Verlassene? Oder bezieht sich der Titel (im Plural) auf die verlassenen Boote, die nun, wo der Winter naht, nicht mehr benützt werden? Ein Boot allerdings, tanzt frech aus der Reihe: es leuchtet grün und liegt dem Wasser am Nächsten.
Vielleicht reflektiert das Bild Werefkins eigene Situation. Nach fast 30 gemeinsamen Jahren wurde sie von ihrem Gefährten Alexej von Jawlensky verlassen. Es war eine schwierige Beziehung zweier ungleicher Charaktere gewesen, verkompliziert durch Jawlenskys Verhältnis mit der Dienstbotin, mit der er ein uneheliches Kind hatte. Die Passion für ihrer Kunst und ihre Weltzugewandtheit, halfen Werefkin, über die Trennung hinwegzukommen. An ihren Künstlerkollegen Willy Fries schrieb sie: «Ich lebe von Liebe zu den Lieben, die das Leben auf meinen Weg gestellt hat und von den Visionen meiner Kunst. Von aussen steht mir bei, die göttliche Landschaft von Ascona und meine Fähigkeit, so Vieles mit fröhlichem Lachen zu überstehen.» – Vielleicht ist dieses Bild hoffnungsvoller, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Aufbruch zu neuen Ufern ist möglich – man muss es nur wagen, auch wenn man dabei aus der Reihe tanzt.