«Das schönste Spielzeug, das ich gehabt habe, ist ein Nussknacker gewesen, dem der Unterkiefer fehlte, weil Hertha mal Walnüsse mit ihm geknackt hatte, wo der Nussknacker doch bloss für Haselnüsse gemacht war.»
So beginnt eine der traurig-schönen Vater-Sohn-Geschichten von Wolfdietrich Schnurre (1920–1989). Sie spielen im Berlin der 1920er und 1930er Jahre und erzählen aus der Perspektive des Knaben Bruno von den findigen Überlebenskünsten von Vater und Sohn in einer sich sozial und politisch zuspitzenden Zeit. Die kurzen Szenen sind trotz aller unglückseligen Vorkommnisse getragen von Humor und zwischenmenschlicher Wärme.
Wolfdietrich Schnurre wurde vor 101 Jahren am 22. August 1920 geboren und wuchs in Berlin auf. Schon während des Krieges, den er unfreiwillig als Soldat miterlebte, begann er in kleinem Umfang zu publizieren. Literatur war für ihn die Möglichkeit, der als grausam und unmenschlich wahrgenommenen Wirklichkeit zu entkommen. 1947 war er Mitbegründer der Gruppe 47 und eröffnete mit der Lesung seiner Erzählung «Das Begräbnis» das erste Treffen der legendär gewordenen literarischen Gruppierung. Schnurre war ein bedeutender Erzähler der westdeutschen Nachkriegsliteratur und gilt als Meister der kleinen Form, vor allem der Kurzgeschichte. Schnurres bekanntestes Buch «Als Vaters Bart noch rot war» erschien 1958 und trug ihm den Ruf eines humorvollen Erzählers ein. Posthum kam ein zweiter Band mit dem Titel «Als Vater sich den Bart abnahm» heraus.
Hanny Fries begegnete Schnurre an der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1962. Heute ist der Autor leider weitgehend vergessen, doch seine Geschichten berühren noch immer – sehr zu empfehlen als Lektüre für einen Spätsommertag auf dem Balkon oder am Wasser! Lektüretipp