
Was für eine Starbesetzung bei der Uraufführung von Dürrenmatts «Physikern» 1962! Die legendäre Therese Giehse als Mathilde von Zahnd, hinter ihr stehend (v.l.n.r.) Hans-Christian Blech als Johann Wilhelm Möbius, Theo Lingen als Einstein und Gustav Knuth als Newton.
Therese Giehse (eig.: Gift) kam 1898 als jüngstes Kind der jüdischen Kaufmannsfamilie Gift in München zur Welt. Sie nahm privaten Schauspielunterricht und debütierte 1920 unter dem Künstlernamen Giehse in Siegen. Von 1926 bis 1933 war sie an den Münchner Kammerspielen im Engagement. 1933 gründete sie zusammen mit Erika und Klaus Mann das literarische Kabarett «Pfeffermühle». Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und politischen Überzeugung musste sie noch im selben Jahr emigrieren und floh zur Mann-Familie in die Schweiz. Von dort aus tourte sie mit dem Kabarett «Pfeffermühle» quer durch Europa. Nach der Auflösung des Kabaretts wurde sie vom Schauspielhaus Zürich engagiert. Von 1937 bis 1949 war sie festes Ensemblemitglied und trug zum internationalen Ruf des Schauspielhauses als Bühne der deutschen Emigration bei. Sie spielte u.a. die Titelrollen in Bertolt Brechts «Mutter Courage» (1941) und Bernard Shaws «Frau Warrens Gewerbe» (1938), die Rolle der Mi Tzü in «Der gute Mensch von Sezuan» (1943) oder die Poncia in der deutschen Erstaufführung von García Lorcas «Bernarda Albas Haus» (1947).
1949 schloss sie sich Brechts Berliner Ensemble an und kehrte 1952 an die Münchner Kammerspiele zurück. Dem Schauspielhaus Zürich blieb sie verbunden, wo sie wiederholt gastierte. Grosse Erfolge feierte sie in Uraufführungen von Friedrich Dürrenmatts Komödien, so als Claire Zachanassian in «Der Besuch der alten Dame» (1956) und als Mathilde von Zahnd in «Die Physiker» (1962). Letztere Rolle hatte Dürrenmatt eigens für sie umgeschrieben. Er hatte ihr das Stück in einer ersten Fassung vorgelesen. Sie bedauerte, dass der verrückte Irrenarzt ein Mann sei, es gebe so wenig weibliche Monster auf der Bühne. Dürrenmatt änderte daraufhin die Männerrolle in eine Frauenrolle und schrieb der Giehse die monströse Rolle auf den Leib.
Bis zuletzt war Therese Giehse aktiv und arbeitete auch mit jungen Regietalenten zusammen, so 1970 mit Peter Stein an der Schaubühne. Sie starb 1975 kurz vor ihrem 77 Geburtstag. Auf ihren eigenen Wunsch hin wurde sie auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben. Ihre überragende Bühnenpräsenz machte sie zu einer der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit.
Quellen: tls.theaterwissenschaft.ch; hls-dhs-dss.ch; fembio.org; Ulrich Weber: Friedrich Dürrenmatt. Eine Biographie, 2020.