Sie biegt den Oberkörper zurück und verwirft dramatisch die Arme: Was für eine ausladende Geste, die die Schauspielerin Alice Lach hier vollzieht.
Sie wird dabei verwundert beäugt von einem verhutzelten Persönchen mit Schirm, Zylinder und Maske (Angelica Arndts). Daneben Angela Salloker und Fred Tanner als Grafen-Ehepaar, die nicht wissen, ob sie sich in einem Traum oder in der Wirklichkeit befinden. Es sind Figuren aus dem letzten Stück des italienischen Schriftstellers Luigi Pirandello (1867–1936): «Die Riesen vom Berge», erstmals in deutscher Sprache aufgeführt am Schauspielhaus Zürich im Jahr 1949. Regie führte der italienische Regisseur Giorgio Strehler (1921–1997), der die Tradition der Commedia dell’Arte wiederbelebt hat. Etwas von seiner Theaterästhetik lässt die Skizze von Hanny Fries durchscheinen: Das körperbetonte Spiel, der Einsatz von Masken, die sprechende Mimik. Pirandellos Stück «Die Riesen vom Berge» (ital. I Giganti della Montagna) eignete sich für Strehlers spielfreudiges Theater besonders gut. Pirandello, der gewiefte Jongleur zwischen Sein und Schein, hat hier ein surreales Märchen und eine Theater-im Theater-Situation geschaffen. Allerdings blieb das Stück unvollendet, obwohl er mehr als acht Jahre lang daran gearbeitet hatte. Pirandello starb, bevor er es fertig schreiben konnte. Nur aus dem Bericht von dessen Sohn, kennt man das vorgesehene Ende der Handlung.
Eine abgehalfterte Schauspieltruppe, angeführt von Ilse, der Gräfin, zieht durch die Lande, um das Stück eines jungen Dichters zu spielen. Er hatte sich der Gräfin wegen umgebracht und nun glaubt sie, sein Vermächtnis erfüllen zu müssen, indem sie das Stück immer wieder aufführt, egal ob die Menschen es hören wollen oder nicht. Doch inzwischen ist das Ensemble geschrumpft, es gibt keine Kulissen mehr, die Kostüme sind zerschlissen, das Geld des Grafen ist aufgebraucht. Schliesslich erreicht die Truppe erschöpft die Villa des Magiers Cotrone, der dort mit seinen «Pechvögeln» haust, einer Gruppe von skurrilen Figuren, die sich hier ein Reich der Fantasie geschaffen haben, eine geheimnisvolle Welt zwischen Traum und Leben. Hier könne das Stück aus sich selbst heraus leben, meint Cotrone und lädt sie ein, für immer zu bleiben. Doch die Schauspieler misstrauen dem Geisterhaus und wollen das Stück nicht nur im Traum, sondern richtig auf die Bühne bringen. Deshalb führt sie Cotrone zu den «Riesen vom Berge», muskelstarken Tatmenschen, an deren Hochzeit das Stück aufgeführt werden soll. Das nicht geschriebene Ende lautet folgendermassen: Die gewaltigen Riesen sind «schwer von Begriff und etwas tierisch» und das geplante Spektakel endet im Desaster. Die Aufführung wird ausgepfiffen und Ilse, die tapfere Verteidigerin der Dichtkunst, wird auf offener Bühne vom meuternden Mob getötet.
Die Szene, die Hanny Fries hier skizziert hat, könnte aus dem 3. Bild, dem «Arsenal der Erscheinungen», stammen. Die Schauspieler sind angesichts der skurrilen Figuren und zum Leben erweckten Puppen ratlos. Was ist noch Wirklichkeit und was schon Traum?
Graf: […] Ich weiss nicht mehr, wo wir sind, noch wohin wir gehen.
Ilse: Umkehren können wir nicht mehr.
Graf: Und vor uns sehe ich auch keinen Weg.
Ilse: Der Mann hier [d.i. der Magier Cotrone] sagt, er erfindet die Wahrheit.
Graf: Ja, ja, leicht gesagt…er erfindet sie…
Ilse: Die Wahrheit der Träume, sagt er, sei wahrer als wir selbst.
Graf: Träume!
Ilse: Schau, es gibt doch wahrhaftig keinen Traum, der absurder wäre als diese Wahrheit, dass wir heute Nacht hier sind, und dass dies wahr sein soll. Wenn man darüber nachdenkt, wenn man sich darauf einlässt, ist das doch Wahnsinn.
Graf: Ich fürchte, wir haben uns längst darauf eingelassen.