
Ein 21-Stunden-Meerblick, sprechende Krähen, gefährliche Motorradrennen oder immersive Film- und Klanglandschaften: Die NewKammer-Ausstellung zeigt verschiedene Multimedia-Kunstwerke. Im dritten Teil unserer Folge stellen wir fünf dieser Arbeiten vor.

Giuliana Beya Dridi ist Künstlerin, Performerin und Tänzerin. In ihrer Praxis setzt sie sich mit Themen wie Migration, Grenzpolitik und Zugehörigkeit auseinander. In der hier gezeigten Videoarbeit «Passenger», zeichnet sie die Schiffsüberfahrt von Palermo nach Tunis auf. Es ist immer dieselbe Einstellung aus dem Fenster ihrer Kabine. Die Lichtstimmungen wechseln, der Horizont verändert sich, die Wellen kräuseln sich mal mehr mal weniger, zuweilen schieben sich andere Schiffe ins Bild. Die Betrachtenden können in 21 Stunden ungeschnittenes Material eintauchen. Gleichzeitig rauscht daneben ein Radio. Über die meiste Zeit auf hoher See gibt es keinen Empfang. Irgendwann jedoch, verbindet sich das Radio mit der Frequenz des sich nähernden Festlandes und aus dem Lautsprecher erklingt die Musik des entsprechenden Landes: Tunesien bzw. Italien.
«Das Mittelmeer ist eine komplexe Strömung. Angesichts der angespannten Atmosphäre in diesem Gebiet schien es mir an der Zeit, ein wenig zu verweilen, von diesen Orten des Aufbruchs und der Ankunft, den Häfen, aus zu denken.» giuliana_beya

Die Arbeitsweise des Künstlers Elio Lüthi ist konzeptionell und interdisziplinär angelegt. Die ausgestellte Videoarbeit «Talk to me» beschäftigt sich am Beispiel von Krähen mit Sprache und der menschlichen Interaktion mit der Natur. Krähen sind sehr intelligente Tiere, die ähnlich wie Papageien auch menschliche Worte nachsprechen können. Im Video sind verschiedene Versuche zu sehen, wie Menschen den Vögeln das Sprechen beizubringen versuchen. Dabei bedienen sie sich einer sehr kindlichen, einfachen Sprache und Tonlage. Die Kommunikation von Tier und Mensch nähert sich gleichsam an. Sprache wird vom Menschen gerne als kulturelle und geistige Überlegenheit gegenüber anderen Spezies interpretiert. Doch «nur weil der Fuchs nicht spricht, kann man ihm nicht das Denken absprechen». Dem Menschen bleibt es grundsätzlich verwehrt, die Sprache der Tiere vollständig zu verstehen. Das öffnet einen interpretatorischen Spielraum: Wie viel ist Projektion, Interpretation, Mimik oder Nachahmung und wer ahmt wen nach? Die Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle der Themen Sprache, Bewusstsein und Mensch-Tier-Beziehung.

Gabriyel Bat-Erdene ist bildende Künstlerin, Videografin/Editorin. Sie beschäftigt sich mit japanischer Untergrundkultur, Mode, Extremsport und Themen wie Zeit, Geschwindigkeit, Gewalt und Erinnerung. Die Videoinstallation «Memory» zeigt in einem Motorradhelm eine rasante Motorradfahrt. Was als Vergnügungstour anfängt, wird zu einer Verfolgungsjagd, die in einem Crash und schliesslich einer Schiesserei endet. Der Helm als Objekt suggeriert Schutz und Sicherheit, hat aber auch etwas Brachiales an sich. Hier trägt er zudem das Geheimnis des fatalen Verlaufs der Motorradfahrt in sich. Die Künstlerin beschäftigt die Idee, dass Objekte das Gedächtnis ihrer Eigentümer tragen. Bei Unfällen oder Gewalttaten wüssten die übriggebliebenen Objekte (z.B. Helm, Handy, Handtasche) am besten Bescheid über den Hergang, doch man kann sie nicht befragen. Sie sind stumme Zeugen des Geschehens. gabriyel_bathory

Barbara Schuler ist Designerin und 3D-Künstlerin mit einer Leidenschaft für Wissensvisualisierung. Ihre Arbeit «Mit den Sinnen einer Spinne – Ein arachnozentrisches Erlebnis» entstand 2022 als Masterarbeit an der ZHdK, Zürcher Hochschule der Künste. Die Tiger-Wanderspinne jagt nachts und spürt ihre Beute mit ihren speziellen, luftsensitiven Haaren auf. Mittels einer VR-Brille können die Betrachtenden in die Welt dieser Spinne eintauchen, indem sie deren Perspektive einnehmen und sie mit allen Sinnen erleben können. Bei der Entwicklung des immersiven 360°-Films arbeitete die Künstlerin eng mit Wissenschaftlern zusammen. Ihr Ziel ist es, über die Wissensvermittlung hinaus ein Bewusstsein für den Wert des Lebens und den Erhalt der biologischen Vielfalt zu schaffen. barbaretta

Der Klangkünstler Pablo Jókay hat Komposition für Film, Theater und Medien studiert. Seine künstlerische Praxis dreht sich um die menschliche Stimme, Alltagsgeräusche, Rhythmus und Mathematik. Die ausgestellten Stücke «Accelerate» und «Phase-Shift» sind zwei generative Klanglandschaften, die für den Soundtrack des Films «Im Rhythmus der Zeit» geschrieben wurden, einem Dokumentarfilm über Zeit und Zeitwahrnehmung.
«Accelerate» ist eine Komposition, die scheinbar immer schneller wird. Sie nutzt eine auditive Täuschung namens Risset-Rhythmus, um die Illusion einer unendlichen Beschleunigung zu erzeugen. Dies wird erreicht, indem ein Loop in mehreren Geschwindigkeiten gleichzeitig abgespielt wird und das Tempo nach und nach erhöht wird. Die schnellste Schicht verschwindet allmählich, während eine neue langsamste Schicht einsetzt, was einen anhaltenden Beschleunigungseffekt erzeugt.
«Phase-Shift» enthält 10 Stimmen, die ganz langsam auseinanderdriften. Dazu komponierte der Künstler ein kurzes Stück für Flöte, Kalimba, Gitarre, Harfe und Streichquartett und programmierte es so, dass für jede Stimme im Stück leicht unterschiedliche Tempi verwendet werden. Dadurch divergieren die Stimmen allmählich und erzeugen sich entwickelnde rhythmische Muster. Ähnlich dem Entdecken von Formen in Wolken verschieben sich diese Muster kontinuierlich, ohne sich zu wiederholen. pablo.jokay